Wenn es regnet, freue ich mich. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es trotzdem.
Karl Valentin
Dass die Zeiten in einer Familie manchmal nicht die einfachsten sind, weiß jeder und hat wohl schon jeder mal erlebt. Mir persönlich sind deshalb die Momente mit unserer Mieze Nelli besonders kostbar. Wenn ich morgens zu ihr in ihr Schlafgemach komme, pflegen wir unser kleines Begrüßungsritual. Sobald ich die Tür öffne, streckt sie sich und gähnt, klettert aus dem Körbchen, rollt sich ein paarmal auf die eine und auf die andere Seite und zeigt mir ihren weißen Bauch. Wenn ich sie dann kraule (selbstverständlich nicht am Bauch!), spielen die Gedanken in meinem Kopf. Das Leben könnte so einfach sein, wenn nicht …
Immer ist etwas!
… diese blöde Sache wäre! Ich hätte gern, dass das endlich anders ist. Ich wäre gern all diese unselige Aufregung los, in die ich mich wider besseres Wissen immer wieder aufs Neue hineinziehen lasse. Ich will meine Energie viel lieber in kreative Dinge stecken. Ich will, dass …
Nelli guckt mich aus großen Augen an, rollt sich noch mal hin und her, steht auf und stupst mich mit dem Köpfchen an, als wollte sie sagen: „Hey! Alles gut. Irgendwas in doch immer. Da kannst du nichts machen. Nimm es, wie es ist, und lebe damit. Mich aufzuregen, holt das Wasser auch nicht vom Boden zurück, wenn ich mein Schälchen von der Fensterbank gestoßen habe.“
Wissen Sie was?
Wie immer hat unsere Nelli recht. Es ist vollkommen sinnlos, die Dinge anders haben zu wollen. Die Situation ist so, wie sie ist. Das ist die Realität, und die gilt es, ohne Vorbehalte zu akzeptieren. Solange ich die Dinge anders haben möchte, als sie tatsächlich sind, solange übe ich Widerstand, der viel Kraft und Nerven kostet, Energie, vertan für nichts und wieder nichts.
Sobald ich jedoch den Widerstand aufgebe und sage: „Ja, so ist es gerade. Ich befinde mich an diesem Ort und so geht es mir damit“, erlaube ich mir selbst, einen Schritt beiseite zu treten und in die Rolle eines Beobachters zu schlüpfen. Und schon erlebe ich eine neue Sichtweise und verschaffe mir die Freiheit, auf andere Art und Weise mit der belastenden Situation umzugehen.
Freiheit durch radikale Akzeptanz
Ich akzeptiere also, dass Menschen in meiner Umgebung dazu neigen, Mücken zu Elefanten zu füttern. Ich akzeptiere, dass Menschen mir die Unwahrheit sagen, weil sie gut dastehen wollen. Ich akzeptiere, dass Menschen ihre Ängste loswerden möchten (die ich für irrational halte und ihnen gern ausreden würde, aber das geht auch nicht) und sie dementsprechend aufgeregt agieren. Diese neu gewonnene Freiheit erlaubt es mir, anders als bisher auf diese Tatsachen zu antworten, und zwar auf solch eine Art, die gesünder für mich ist. Niemand zwingt mich, in den Chor der aufgeregten Stimmen einzufallen. Ich darf die Mücken Mücken sein lassen und mich weigern, beim Aufblasen zu Elefanten teilzunehmen. Auch auf die Gefahr hin, als kalt und abgebrüht zu gelten, darf ich mir meinen Gleichmut bewahren und meinen inneren Frieden. Ganz so würde unsere Nelli das nämlich auch tun.
Versuchen Sie es mal mit radikaler Akzeptanz, wenn Sie die Dinge wieder einmal anders haben wollen, als sie sind. Vielleicht tut es ja auch Ihnen gut.
Andrea vom Atelier am Rain
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift OUR CATS, Ausgabe 6/2020
Akzeptiere es. Es ist nicht Resignation, doch nichts lässt dich mehr Energie verlieren als der Kampf gegen eine Situation, die du nicht ändern kannst.
Dalai Lama