Glück geht nicht weg!

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich einen schlechten Tag. So einen richtig miesen, du weißt, wie sich das anfühlt, schätze ich. Die Glieder sind schwer, jede Bewegung ist zäh, als trüge ich eine riesengroße Last auf meinen Schultern. Dunkle Wolken ballten sich im Kopf, als wäre mein Geist von einer schwarzen dichten Decke niedergedrückt. Sogar das morgendliche „Was bin ich doch für ein Glückspilz“, das mich sonst beim Morgenseiten-Schreiben zum Lächeln bringt, fühlte sich gelogen an, voll­kommen falsch.

Die Ursache dafür hatte ich rasch gefunden, inzwischen bin ich geübt darin. Es hatte eine Situation gegeben, in der ich gegen meine innere Überzeugung ge­handelt hatte, in der mich jemand zu etwas hatte drängen wollen, was ich aber nicht wollte, eine Erinnerung war hochgekommen, die mit einer schlimmen Ver­letzung einhergegangen war und in ihrer Folge eine limitierende Über­zeugung über mich selbst begründet hatte. Es kann eines von diesen verschiedenen Dingen gewesen sein, die mich belasteten. Was auch immer es war, auf die Ursache kommt es letzt­lich gar nicht an, sondern nur

auf meine Reaktion, darauf, wie ich mit der Schwermut umgehe, die mich immer wieder mal überfällt, weil ich die Menschen nicht daran hindern kann, Dinge von mir zu wol­len, die ich nicht will; weil ich Erinnerungen nicht löschen kann und davon abhalten, zu den ungünstigsten Zeiten in mein Bewusstsein zu dringen; weil sich Überzeugungen über mich selbst, die tief in mein Unterbewusstsein eingebrannt sind, eben nicht mit Handauflegen, Dankbarkeits- und Loslassübungen oder tausend toller Affirmationen umprogrammieren lassen.

Ich kann trotzdem etwas tun. Ich kann nachsichtig zu mir selbst sein. Ich kann der Schwermut, der Trauer, die da aufwallt, ihren Platz einräu­men. Ich kann mich auf einen Stuhl setzen und die Augen schließen und eine Weile beobachten, was die schwarze Decke auf meinem Gemüt da macht. Ich kann fühlen, wie sie mir auf die Schultern drückt, wie sie mir die Mundwinkel nach unten zieht. Ich kann das flaue Gefühl im Bauch spüren, das nach oben steigt und mir die Kehle eng macht. Ich kann den Druck hinter den Augen spüren und die Tränen, die da herauswollen.

Ich kann all das annehmen und sein lassen und voller Mitgefühl der Trauer zuschauen, wie sie sich in meinem Körper ausbreitet.

Eine Minute? Zwei?

Vielleicht auch drei. Aber dann geht das flaue Gefühl weg, wird die Kehle wieder weit, werden die Schultern leicht und die schwarze Decke über meinem Geist flattert davon.

Dann schaue ich auf mein Herz und spüre die Wärme, die durch meinen Körper strömt, lächle absichtlich dazu und merke es ganz deutlich: es ist da, das Glück. Es ist in mir drin und ich kann es fühlen, selbst wenn da vorher Trauer war. Das Glück, dasjenige innen drin, dieses eigene, selbstgemachte, das verlässt mich wie, auch wenn von außen noch so viel auf mit einstürmt und schmerzhafte Erinne­rungen weckt. Ich kann jederzeit an diesen Ort gehen, ob im Stehen oder Sitzen oder Liegen, an diesen Ort des Wissens, dass Schmerz und Trauer vergehen, und an den Ort, an dem das Glück wohnt.

Das Zauberwort: Achtsamkeit!

Alles, was ich dafür brauche, ist Achtsamkeit.

Und ein bisschen Mut, diese Empfin­dungen in meinem Körper auszuhal­ten und nicht vor ihnen davonzu­laufen. Denn das alles gehört zu mir: die Trauer genauso wie das Glück. Ich bin dankbar – für beides. Ich wäre nicht ich ohne sie.

Und auch, wenn du jetzt denkst: so miese Gefühle möchte ich nicht, die blende ich lieber aus – tu das nicht. Diese Gefühle gehören dazu. Ohne die Trauer könnten wir die Freude gar nicht richtig spüren. Beide machen das Leben reich und intensiv.

Vielleicht möchtest du diese kleine Achtsamkeitsübung einmal ausprobieren, wenn dir das Herz schwer ist, du traurig bist oder wütend? Nimm dir ein paar Minuten Zeit, einen Ort, an dem du in dich kehren kannst, und dann spür hin, wo das komische Gefühl sitzt, beobachte es und schau dir jede noch so kleine Nuance davon an. Sag „willkommen“ und “ich sehe dich“ zu dem Grummeln in deinem Bauch und zur Enge in deiner Brust. Und dann beobachte, wie sich allein dadurch, dass du sie wahr­nimmt, deine Empfindungen schwächer werden, bis sie sich ganz auflösen. Danach leg die Hand auf deine Herz­, konzentriere dich auf dieses Organ, das nur für dich schlägt und die Wärme durch deinen Körper pumpt. Schenk dir selbst ein Lächeln und ein Danke! dafür, dass du dir dieses Geschenk der Achtsamkeit gemacht hast.

Oder nimm dir einen Zettel und einen Stift und beschreibe, wie sich alles anfühlt, während du fühlst, was du fühlst. Wo im Körper sitzt die Wut? Was macht die Trauer mit dir? Erkunde das im Schreiben – und erforsche jede noch so kleine Regung, während sie schwächer und schwächer wird.

Erzähl mir gern, wie das für dich war, ob es funktioniert hat oder nicht. Manchmal klappt es auch nicht so gut, aber das ist nicht schlimm, das gehört dazu. Beim nächsten Mal versuchst du es wieder und irgendwann spürst du es, das Glück in dir, das nichts und niemand dir entreißen kann.

Deine Andrea