Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, was es mit dem kreativen Impuls auf sich hat. Impulse haben wir alle, ständig, und wir sind von klein auf trainiert, diese Impulse im Zaum zu halten. Nehmen wir den Drachen als metaphorisches Bild für unsere Impulse, so haben wir ihn erfolgreich gezähmt. Diesen Drachen reiten wir schon lang nicht mehr. Für den einen gilt das mehr, für die andere weniger.

Impulskontrolle ist das Stichwort. Im sozialen Kontext ist es durchaus angebracht, die eigenen Impulse unter Kontrolle zu haben.

Wenn ich in einem Laden jemandem begegne, der mir vom ersten Blick an unsympathisch ist, dann sage ich das diesem Menschen nicht ins Gesicht, sondern behalte es für mich und gehe meiner Wege. Dieser Mensch begegnet mir vermutlich niemals wieder.

Oder ich sitze beim Essen mit anderen Menschen und in mir regt sich der Impuls, zum Smartphone zu greifen und meine WhatsApp zu checken. Lasse ich in diesem Moment. Die Menschen sind mir wichtiger, deren Gesellschaft ich gerade genieße.

(Falls ich diese Gesellschaft nicht genieße, kann es durchaus hilfreich für einen selbst sein, dem Impuls zu folgen, aufs Smartphone zu schauen und sich mit den Worten „Familie, ein Notfall“ aus der Runde zu verabschieden. Doch auch dies ist kontrollierter Impuls, da du ihn hier gezielt nutzt. Dann wird aus dem Impuls eine Idee.)

Unsere Impulse zu kontrollieren, ist etwas, das wir lernen. Bestimmt gibt‘s in jeder Familie den Dreijährigen, der seiner Großmutter schon mal die Perücke vom Kopf gezogen hat oder die Fünfjährige, die genug vom Zoobesuch hat und sich schon mal allein auf den Weg zum Auto macht.

Dem Dreijährigen wird sofort Einhalt geboten und Oma bekommt ihre Perücke zurück, womöglich mit ein paar tadelnden Worten. Und der Fünfjährigen werden die Eltern mit Sicherheit auch das Versprechen abnehmen, nie wieder eigenmächtig zu handeln, sondern es den Eltern zu sagen, was auch immer es haben möchte oder tun will – und sich die Erlaubnis einholen!

(Dabei hat der Dreijährige nur seine Neugier befriedigt und die Fünfjährige eines ihrer Bedürfnisse. Beide haben für sich gesorgt – ganz intuitiv.)

In solchen Situationen und derlei mehr wird uns aberzogen, den Drachen zu reiten, ihm am besten auch noch das Feuerspeien zu verbieten, um angepasst durchs Leben zu kommen und akzeptiert zu sein in der sozialen Umwelt. Wir lernen, dass unsere Bedürfnisse unwichtiger sind als andere und „Neugier der Katze Tod“ ist. „Impulsiv“ zu sein, wird unter Erwachsenen weniger gern gesehen, denn dann erscheint man unberechenbar, weniger verlässlich.

Ganz im Gegensatz dazu empfinden wir Katzen als äußerst sympathisch – und sie handeln nur impulsiv!

Den Drachen wieder entfesseln

Wenn es um den kreativen Impuls geht, ist ein gezähmter Drache eher von Nachteil. Drachen ziehen sich zurück, wenn sie nicht mehr fliegen dürfen und Feuer speien. Manche verkriechen sich in die hinterste Höhle und schlafen hundert Jahre. Den dann wieder wach zu bekommen, kann ganz schön anstrengend sein.

Wie also lockst du deinen Drachen wieder hervor?

Dazu möchte ich dir eine Übung vorschlagen, die dir dabei hilft, deine Impulse wieder mehr wahrzunehmen.

Lege dir für diese Übung einen Zettel und einen Stift bereit.

Setz dich auf deinem Stuhl aufrecht hin, die Füße fest auf dem Boden. Leg deine Hände auf den Oberschenkeln ab.

Schließe deine Augen.

Lass dich selbst zur Ruhe kommen, atme in deinem Tempo, ohne etwas besonderes zu tun. Vielleicht möchtest du deinen Fokus auf einen Körperteil richten, deine Hände vielleicht oder deine Füße, und den ganz intensiv spüren.

Bleib so sitzen. Mehr ist nicht notwendig.

Sitz nur da – und wenn ein Gedanke in deinen Kopf kommt, bemerke den, notiere ihn auf deinem Zettel und dann schließ wieder deine Augen. Bewerte nicht, was du bemerkt hast. Bleib neutral dem Gedanken gegenüber.

Bis der nächste Gedanke kommt. Den notierst du wieder ohne Bewerten.

Wenn du den Impuls verspürst, „mit dem Quatsch aufzuhören“, bleibst du trotzdem einfach sitzen, notierst den Impuls und kehrst wieder in die Ausgangsposition zurück.

Und so weiter und so fort.

Flieg!

Vielleicht bemerkst du Dinge wie „ist das doof“ oder „ich muss meine Schwester anrufen“ oder „die Betonfiguren könnte ich auf Etsy anbieten“ oder was auch immer.

Dies sind deine Impulse – in Bruchteilen von Sekunden dir ins Bewusstsein geschossene Fetzen von Erinnerungen, Plänen, Erfahrungen, Ideen und so weiter.

Du hast sie in dieser Übung bewusst wahrgenommen. (Und sie gleichzeitig kontrolliert, denn du bist dem Impuls nicht sofort nachgegangen, „den Quatsch hier zu beenden“.)

Mach dir nun diese Impulse bewusst, wenn du das nächste Mal am Maltisch sitzt oder vor der Leinwand stehst. Fang einfach an, womit du sonst auch anfängst, und dann nimm wahr, welcher Gedanke dir kommt, was du als nächstes tun könntest. Und dann folge diesem Impuls ohne Wenn und Aber. Bewerte das nicht. Denk nicht darüber nach. Folge dem Impuls einfach. Reite den Drachen!

Auf diese Weise kommst du „aus dem Kopf“ in den Mal-Flow. Das ist das, was mit „Kopf ausschalten“ gemeint ist.

Irgendwann mit genügend Übung brauchst du dir die Impulse gar nicht mehr bewusst zu machen. Deine Malsession wird ein einziger Fluss aufeinander folgender Aktionen, in die du nicht eingreifst. Klar wirst du ab und an stoppen, dein Bild betrachten und es dauert einen Augenblick, bis der nächste Impuls kommt. So wie jeder Drache im Flug mal eine Pause braucht, um diesen sonderbaren Prinzen zu verspeisen, der gekommen ist, um dich zu retten. Doch du brauchst keine Rettung. Du bist die Herrin dieses Drachens. Du reitest ihn – und das mit vollem Herzen und voller Freude.

Wenn du doch mal keinen Impuls spürst, der Stopp zu lang dauert, frag dich: was würde mir jetzt am meisten Spaß machen?

Und dann mach weiter!

Folge deinem Impuls!

Reite den Drachen!

Be more cat!

Frag nicht nach dem Weg. Der Drachen kennt ihn!

Oftmals tauchten in Workshops Fragen auf wie „Was soll ich jetzt machen?“ oder „Wie geht das hier jetzt weiter?“ oder „Ist es okay, wenn ich das so mache?“.

An dieser Stelle, wenn diese Fragen uns vom Schaffen abhalten, sind wir uns selbst in den Weg getreten, hat „der innere Kritiker“ gesprochen, hat sich der Kopf eingeschaltet und den kreativen Fluss unterbrochen.

Wie kommt das?

Die Antwort liegt eigentlich nahe: es hat mit unserer Prägung zu tun. Niemand von uns kann etwas dafür, wenn der Verstand eine Vollbremsung macht und unser kreativer Flow abreißt.

Dem Misstrauen entsagen

Wir sind auf Impulskontrolle getrimmt und schon von klein auf hat man uns gesagt, was okay ist und was nicht. Sehr oft wurden wir zurückgepfiffen, wenn wir davongelaufen sind, wurde uns auf die Finger geklopft, wenn wir mit Ketchup Blumen an die Wand malen wollten, oder man hat uns den Mund verboten, wenn Kindermund Wahrheit kundtun wollte.

Daraus resultierte ein gewisses bis tiefes Misstrauen demgegenüber, was aus uns alles so herauskommt an Impulsen. Wir haben unsere Neugier gebremst, sind brav bei Fuß gegangen, haben den Mund gehalten und den Ketchup dann doch lieber in den Mund gesteckt – weil man uns gesagt hat, das alles sei falsch.

Dieses Misstrauen haben wir aber nie hinterfragt, sondern die „Regeln“ der Erwachsenen und Erziehungsberechtigten für die Wahrheit gehalten und sie uns zu eigen gemacht. Wie hätten wir es auch anders wissen sollen? Als Kleinkinder können wir von unserer evolutionären Ausstattung her das alles noch gar nicht einordnen.

Als Erwachsene aber haben wir die Wahl, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen. Wir dürfen in das Waldstück rennen und uns die Pilze dort genau anschauen. Wir dürfen die Wahrheit sagen. Wir dürfen mit Ketchup an die Wand malen. Reite den Drachen!

Das ist alles okay!

Wir machen es nur nicht, weil wir es anders gelernt haben.

Dem kreativen Impuls zu folgen, ist also in gewisser Weise eine Art von Ver-Lernen. Wir dürfen alte Regeln abstreifen und so richtig über die Stränge schlagen.

Vor allem aber dürfen wir ver-lernen, dem, was aus unserem tiefen Inneren heraus entsteht und entstehen will, weiter zu misstrauen. Heute sind wir die einzigen, die darüber zu befinden haben. Es gibt keine urteilende oder strafende Instanz mehr (außer dasjenige Urteil oder diejenige Strafe, die wir uns selbst auferlegen).

Wir dürfen zu 100% akzeptieren, was unsere wohlwollende, liebende innere Stimme uns sagt, das jetzt dran ist. Und dem folgen wir dann ohne Wenn und Aber – ob im Malen oder im Leben.

Selbstliebe

Ich spüre sie inzwischen wieder ganz deutlich, diese Stimme.

Wie ist es mit dir? Kannst du sie auch (wieder) hören? Und wagst du es schon, ihr zu folgen?

Selbstakzeptanz, das Misstrauen gegenüber den eigenen Impulsen ablegen, das alles ist Selbst-Liebe! Lass dich darauf ein!

Alles Liebe!

Andrea