(Erschien Anfang 2020 als Gastbeitrag in englischer Sprache im Blog von Laly Mille.)
„Tu dasselbe hundertmal und du erlebst ein Wunder!“
Über das Malen in Serie habe ich nie zuvor nachgedacht. Eine Malsitzung, eine Idee, ein Bild. Nicht zwei oder mehr, eins.
Bis ich die fantastische Welt der Laly Mille betrat. Diese Entscheidung hat eine Menge bei mir verändert. Die Kursvorschau von „Soulful Abstracts“ brachte mich zum Weinen, so sehr berührte mich das, was ich da sah, also meldete ich mich sofort an und ergatterte einen der begehrten Plätze. Das habe ich nie bereut.
Gleich zu Beginn in den ersten Lektionen machte sie uns damit bekannt, in Serie zu arbeiten – eine Herangehensweise, die ich für mich jetzt die „Magie der Vier“ nenne.
Die erste Übung bestand darin, vier abstrakte Bildchen zu malen und damit die Farbkonstellation eines Fotos nachzuempfinden, das mich ansprach. Dafür sollten wir vier Quadrate benutzen, jedes 10 × 10 cm groß. Ihr Ansatz: wenn du etwas gleich mehrfach tut, prägt sich die Technik leichter ein. Das leuchtete mir sofort ein, und als ich ihr in dem Video dabei zuschaute, wie unter ihren Händen und Pinseln diese delikaten kleinen Kunstwerke entstanden, vier auf einmal, die so wunderbar zusammen passten, ein perfektes Quartett mit durchgängiger Sprüche aus Farbe, Collage und Formen, alle mit demselben „look and feel“, bekam ich Schiss. Richtig Schiss. „Sowas bekommst du niemals hin“, plärrte der Terrorist in meinem Kopf (danke an Elizabeth Gilbert für diesen Ausdruck). Mein innerer Kritiker beherrscht seinen Job perfekt. Doch mein Job ist es, ihn zu ignorieren. Was ich dann auch tat.
Folge dem, was das Feuer in dir entfacht
Von dem Moment an, da ich diese winzig kleinen Papierstücke in Lalys Händen sah, hörte ich eine subtile innere Stimme nach mir rufen. Diese Blätter sahen so unschuldig aus, so niedlich, so süß – ich fing sofort an, meinen eigenen Stapel Aquarellquadrate zurechtzuschneiden. Allein dieser Schritt kam schon einem Wunder gleich!
Ich bin eine Künstlerin, die sich gerade aus den Mauern herausschält, die ich in all den Jahren um mich herum errichtet hatte, in denen ich glaubte, nicht malen zu können. Seit mehr als 10 Jahren hatte ich keinen Pinsel mehr angefasst, all meine kostbaren Materialien hatte ich um das Jahr 2008 herum verschenkt. Bis ich im Dezember 2018 Hals über Kopf in die bunte und leichte Aquarell-Welt von Clarissa Hagenmeyers „Happy Painting!“ stürzte – eine Entscheidung, die ich ebenfalls nie bereut habe. Diese Kurse sind für Anfänger wärmsten zu empfehlen. Ich erkannte, was mir all die Jahre gefehlt hatte. Und dass ich bin, was ich als Kind einmal so sehnlich sein wollte: eine Künstlerin.
Doch nun zurück zu dem Wunder, das dieses Zurechtschneiden für mich war. Aquarellpapier empfinde ich als etwas Kostbares. Ich war gefangen in Gedanken wie: „du darfst die Bögen nicht aus dem Block trennen, sonst sind sie wertlos“ und „du darfst dieses teure Material erst recht nicht zerstören, indem du es zerschneidest“. Ich brauchte all meinen Mut, um das Aquarellpapier in die Pappschere zu legen und den Hebel zu drücken. Im selben Moment, als ich das tat, erwuchs Neugier und mit allem Enthusiasmus machte ich mich auf den Weg, folgte den drängenden Flüstern dieser kleinen Quadrate aus Aquarellpapier. Nach dem Schneiden erschien mir das Papier sogar noch luxuriöser.
Als der Kurs Richtung „mark-making“ voranschritt, also Spuren diverser Werkzeuge und Materialien aufs Blatt bringen, Zeichnen und Schreiben dran waren, zerbarsten all die Mauern aus Angst um mich herum. Der Terrorist in meinem Kopf entschied sich, eine lange Reise anzutreten. (Er ruft heute noch manchmal an und ich lasse mich auf seine Einflüsterungen ein, aber meistens schaffe ich es, schnell die Verbindung zu trennen.) Die Miniserie, die Laly Mille als Beispiel anfertigte, war wie ein Funke, der etwas in mir entzündete. Das Feuer brennt immer noch, da ich Miniserie Nr. 79 auf dem Maltisch habe.
100 mal dasselbe?
Ich schnitt mehr Quadrate. 15 × 15 cm und 10 x 10 cm, das ergibt vier größere und drei kleine Quadrate aus einem Aquarellblatt den 30 × 40 cm – optimal genutzte Fläche. Nach jeder Lektion verabschiedet sich Laly Mille bei „Soulful Abstracts“ mit den Worten: „übe, übe, übe“. „Du könntest das hier sogar 100 mal tun“, schlug sie im Text vor. Das sprach mich sofort an. Dies war mein Anschubser, die „Magie der Vier“ ebenfalls erleben zu wollen. Jetzt weiß ich: tust du etwas einhundert Mal, erlebst du ein Wunder. (Darum dreht sich die 2. Episode von Silvia und mir für Malfreunde FM.) Deine Art zu malen ändert sich, deine Haltung gegenüber dem Malen ändern sich. Du wirst danach nicht mehr dieselbe sein.
Wenn du die magischen 100 erreichen willst, durchschreitest du etliche Phasen. Am Anfang herrscht purer Enthusiasmus, wenn der Funke noch frisch ist und das Feuer in dir hell lodert. Doch langsam kehrt so etwas wie Überdruss ein. Heiße diese Langeweile willkommen. Sie ist ein guter Lehrer. Sie weist dich darauf hin, dass du etwas ändern könntest, um den Spaß an der Sache zurückzubringen. Und so schaust du, welche Farben du vielleicht noch nie verwendet hast. Du kannst dir selbst Beschränkungen auferlegen, die Farbpalette zu reduzieren etwa oder eine Stoppuhr mitlaufen zu lassen, wenn du in maximal einer halben Stunde fertig sein willst. Wenn der Timer klingelt, schaust du auf und denkst: Wow! Vier Bilder in gerade mal 30 Minuten! Die Flamme deiner Neugier ist neu entfacht und du machst dich auf die Suche, was du noch alles ausprobieren könntest. Du könntest den Prozess ändern: ein großes Bild aus den vier einzelnen Quadraten gestalten; jedes einzeln zu Ende arbeiten statt auf allen vier gleichzeitig; unterschiedliche Formensprache einsetzen von Bild zu Bild – all das, um die Arbeit an den 100 Serien frisch und interessant zu gestalten, in allererster Linie für dich selbst, aber auch für diejenigen, die deine Bilder anschauen.
Die Belohnung
Was du auf dieser Langstrecke lernst, ist schier unermesslich. Am Ende belohnt dich die dicke Mappe mit Bilden mit einem Gefühl des Triumphs. Du belohnst dich selbst. Was du erreicht hast auf dieser Reise, ist nicht bloß Expertise im Malen. Du lernst fürs Leben! (An dieser Stelle bitte Alanis Morissettes „You learn“ auflegen und laut mitsingen!) Widerstände besiegen, konzentriert bleiben, Resilienz erleben, Mut beweisen, regelmäßig antreten und an einer Sache dranbleiben, Langeweile überstehen und diese Energie zum Nützlichen wenden – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Diese Fähigkeiten brauchst du nicht nur beim Malen. Sie dienen dir auch im Alltag bei sozialen Kontakten, im Beruf, dabei, auf dich selbst zu achten.
Natürlich unterstützt dich das Arbeiten in Kleinserien auch darin, deine Fähigkeiten als Künstlerin zu verbessern. Schließlich ist das der eigentliche Zweck. Im kleinen Format kannst du ausprobieren, was du vielleicht mal größer malen möchtest. Das kostet viel weniger Überwindung als gleich an die große Leinwand zu gehen. Neue Materialien lassen sich so spielerisch und doch mit raschem Ergebnis testen, neue Farben, Funde aus der Natur, von denen du glaubst, damit ließen sich tolle Spuren aufs Papier bringen. Oder tu es einfach, weil es Spaß macht. Außerdem sind sie prima für zwischendurch, wenn du zeitlich gerade an kein größeres Projekt denken kannst.
Für mich sind diese Mixed Media-Minis noch immer ein Feld für Experimente. Wann immer ich ein neues Tool finde oder neue Farben kaufe, klebe ich vier Quadrate auf den rückseitigen Karton eines aufgebrauchten Aquarellblocks und lege los. Ich mache das auch, wenn es mir gerade nicht gut geht oder ich eine schwierige Situation zu bewältigen habe, ob nun beim Malen oder im Leben. Die Miniserien sind eine Art Zuhause für mich, wo ich mich sicher und aufgehoben fühle, wohin ich mich wenden kann, wenn alles um mich herum am Rad dreht. Das Bekannte schenkt mir Momente der Ruhe und des Runterkommen. Was für andere das Art Journal ist, sind für mich die Miniserien.
Ich denke, jetzt erkennst du, welchen Wert diese Serien für mich haben – und warum ich von der „Magie der Vier“ spreche? (Die Zahlenmystiker unter uns finden bestimmt noch andere Aspekte, warum die Vier eine magische Zahl ist.)
Die Reise geht weiter. Wie gesagt, im Moment liegt die 79. Serie angefangen auf meinem Maltisch. Ich bin ziemlich sicher, die 100 zu erreichen. Die Minis sind Teil meines Lebens geworden, nicht nur als Künstlerin. Unschätzbar wertvoll und unbedingt nachahmenswert! Hab Spaß, starte deine kreative Reise oder setze sie fort und lass dein Licht leuchten. Die Welt braucht es!
Übrigens, falls du diese 100-Mal-Sache selbst ausprobieren möchtest (es müssen ja keine Miniserien sein), jährlich startet im Frühjahr das #the100dayproject, eine Initiative amerikanischer Künstler, die sich hauptsächlich bei Instagram mit diesem Hashtag als Kennzeichnung abspielt. Da kannst du schauen, was die Menschen sich alles einfallen lassen für die 100 Wiederholungen.
Fühlst du dich jetzt inspiriert? Dann mach mit und lass mich wissen, welches dein Projekt ist. #the100dayproject2020 startet am 7. April! Ich habe 2019 zum ersten Mal mitgemacht mit 100 Müllcollagen.
Update 2024
Inzwischen gibt es einen kleinen Online-Kurs, in dem ich dir meine Art der Gestaltung dieser Minis zeige. Du findest ihn auf dieser Plattform unter dem Titel „Landschaft ohne Absicht“. Darin kannst du die Entstehung der Miniserie verfolgen, die du weiter oben im Text siehst.
Zurzeit bin ich wieder dran an einem 100-Tage-Projekt, wieder mit Malerei, dieses Mal aber im größeren Format. Und alles, was ich bisher bei 37/100 erlebt habe, ist hier beschrieben. Dieselbe Begeisterung lebt wieder in mir.
Und was die Miniserien betrifft: es sind inzwischen mehr als 130 Serien entstanden. Ich mache sie immer noch hin und wieder, wenn sie mir auch nicht mehr als Zufluchtsort dienen. Wobei …
Ich bin dann mal weg, Aquarellkarton schneiden!
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