Momentan weiß ich nicht so ganz, ob ich mich freuen soll, dass das, was ich an Zeit-Übergriffigkeit durch andere erlebt und wovon ich dir in meiner gestrigen Mail erzählt habe, auf so viel Resonanz getroffen hat. In meinem Kopf weiß ich, dass viele diese Erfahrung mit mir teilen. Allein, mein Herz will es nicht so ganz wahrhaben.
An Tagen wie diesen, wenn da ein alter Schmerz an die Oberfläche dringt, dürfen wir uns gern einen Moment Zeit nehmen, da hinzuspüren und die dunklen Schatten anzunehmen, die da aufsteigen. Solange wir wissen, dass wir uns gerade an einem sicheren Ort befinden – unserem Malplatz zum Beispiel -, an dem uns nichts geschehen kann, können wir den Schmerz mit einer gewissen Distanz betrachten und uns anschauen, was er mit uns macht, was er heute noch auslöst.
Eines der Bilder, die dabei entstanden sind, hat ich besonders berührt, weil es so treffend das ausdrückte, was ich so oft fühlte. Es zeigte eine Gestalt, die in einen Garten ging, von hinten aber griffen schwarze Hände nach ihren Schultern und Beinen, wollten sie festhalten. Das Bild hat mich einerseits traurig gestimmt, andererseits aber auch sehr hoffnungsvoll. Die Figur hatte den Zaun schon fast durchschritten, der schwarze Schatten aber musste dahinter bleiben.
Wenn wir anderen gegenüber Grenzen ziehen, dann treffen wir damit nicht unbedingt sofort auf Verständnis. Kann sein, dass manche sagen: „oh, tut mir leid, ich dachte, das macht dir nichts aus“ und sehen zukünftig davon ab, dich ungefragt zu beanspruchen. Bei anderen läuft das anders und sie sehen gar nicht ein, warum sie etwas an ihrem Verhalten ändern sollten.
Da genau liegt der Hase im Pfeffer. Und jetzt spreche ich mal wieder lieber nur von mir. Ich kann die anderen niemals ändern. Ich kann nur bei mir selbst etwas ändern. Allerdings bewirkt das, was ich bei mir ändere, zwangsläufig auch eine Änderung bei den Menschen in unserem Umfeld.
Denn wenn ich mich beharrlich zeige und meine Grenzen deutlich und mit Bestimmtheit verteidige, bleibt den Übergriffigen letztlich nichts anderes übrig, als sich andere Wege zu suchen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, denn es funktioniert nicht mehr in der gewohnten Weise für sie.
Wie gesagt: es braucht Beharrlichkeit und Bestimmtheit und manchmal, anfangs ganz oft, bin ich in die alten Verhaltensmuster zurückgefallen, brachte die Bestimmtheit gerade nicht auf und dann ärgerte ich mich häufig. Ärger brachte mich an der Stelle aber nicht weiter. Ärger sorgte nur dafür, dass ich mich schlecht fühlte und beinahe bereit war, zum alten Status quo zurückzukehren.
Was mich zurück in die Spur brachte, für meine eigenen Bedürfnisse mit aller Klarheit einzustehen, war die Fähigkeit zum Selbst-Mitgefühl. Ich war lange Jahre meine ärgste Feindin, bis ich beschloss, dass ich mich nie wieder selbst runterputzen wollte. Mit allen Menschen hatte ich Nachsicht. Ich verzieh jedem. Nur mir gegenüber war ich so hart wie ich es meiner ärgsten Feindin gegenüber niemals hätte sein können.
Ich erinnere mich noch an das Konzert von Julia Engelmann in der Bad Hersfelder Stiftsruine. Sie sang davon, sich selbst die beste Freundin zu sein. In dem Moment brach ich in Tränen aus. Damit hatte sie voll meinen Nerv getroffen.
Mir selbst die beste Freundin zu sein.
Mir selbst alles zu geben, was ich brauche, damit ich mich wohlfühlen kann.
Mir selbst gegenüber das Mitgefühl schenken, das ich so leicht für andere aufbringe.
Wie viel Mitgefühl hast du für dich?
Was brauchst du, damit du dich so richtig wohlfühlst?
Was tust du, wenn du dir selbst etwas Gutes tun möchtest?
Wie belohnst du dich?
Und wenn dir einmal ein Fehler unterläuft, kannst du dir selbst verzeihen?
Heute, am 11. Tag unserer Challenge, hatte ich eigentlich ein anderes Thema geplant. Dieses hier aber scheint mir gerade wichtiger zu sein.
Deshalb, wenn du heute einen Anker brauchst, um mit deinem Projekt zu beginnen, zeichne ein Herz als Symbol für deine beschützenswerte Seele in die Mitte des Blattes.
Die Fragen von oben kannst du gern alle einmal für einen Schreibsprint verwenden. Ich tue das auch öfter, um mir klar zu werden, was ich eigentlich brauche.
Denn ich erinnere mich noch zu gut an den ersten Termin bei der Psychiaterin in Kiel, die mich für 6 Wochen krankschrieb nach meinem Zusammenbruch und die sagte: Tun Sie in diesen 6 Wochen nur Dinge, die Ihnen guttun.
Du ahnst es längst, oder? Mir fiel nichts ein.
Und da ich heute auf ein reiches Repertoire an Möglichkeiten zurückgreifen möchte, was ich mir selbst Gutes tun kann, schreibe ich regelmäßig darüber und sammle das – in einem Spaßmacherbüchlein.
Falls du wissen möchtest, was das ist, schau doch mal auf meinem YouTube-Kanal vorbei: https://youtu.be/GCB6Gk3Chkw